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hemmungslos geburtstagsfeier

Gregor Schwellenbach 20 Jahre Kompakt
Gregor Schwellenbach spielt 20 Jahre Kompakt im Roten Salon der Volksbühne, Berlin.

Junge wollten älter werden, nicht alt sein. Alte sowieso nicht. Warum auch. Best Ager waren die goldene Ananas im Wirtschaftszyklus. Wir rauchten Cheesecake und tranken schale Milchbrause. Tanzten Flohwalzer in der übel gelaunten Abendsonne und fragten uns, wie es wohl sein würde alt zu sein, Rente zu beziehen, Katzen zu füttern, in der Wohnung zu sitzen und das Telefon anzuschauen. Alt und jung sein hatte eines gemeinsam: Langeweile. Minuten wurden zu Stunden. Der Tag hatte keine festen Strukturen. Das einzige was feststand: Essen. Der Rest war optional.

Einmal im Jahr war alles anders. Dann wurde hochgelebt und ausgepackt. Geburtstag ist King. Gleichzeitig brachte einen jedes Ständchen, jede Karte, jeder Schulterklopfer näher an den Punkt nicht mehr zu sein. Oder alleine zu sein. Oder eben auf das leere Telefon zu starren – in der Hoffnung auf Glückwünsche. Ein bittersüsses Stück Sinnkrise. Mit roter Schleife und kitschigem Geschenkpapier.

Wir saßen am Schwabinger Bach und sahen den Nackten beim Baden zu. Dicke Körper mit Gänsehaut. Vor Kälte eingeschrumpfte Penise, die auf der zu Wellen gestauten Strömung von rechts nach links surften. 2-3 kurze Blicke, dann war es uninteressant. Langweilich. Langweildich. So dachten wir, während wir den nächsten Eindrücken hinterherjagden. Jetzt neu. Dann neu. Und dann. Den Moment schneller und wahrhafter erleben, um sich später nicht vorwerfen zu können man hätte doch. Aktionismus gegen die eigene Vergänglichkeit. Happy. Alles Gut.e.

Wir machten uns auf. Im Club der hemmungslos Interessierten feierten sie heute Jubiläuum. Gregor Schwellenbach hatte mit seinem Tiger-Orchestra einen neuen Zirkustrick einstudiert: die Tiger sollten auf Kommando Noten singen. Die richtigen Noten, die Schwellenbach dann durch sein Piano fegte, um damit Wolfgang Voigts Track „Geduld“ zu spielen. Klang nach einem heiden Aufwand. Für einen 20. Geburtstag eines Elektro-Labels. Aber.

Der Club der hemmungslos Interessierten war in rotes Licht getaucht. Am Eingang gab man uns Hütchen und kleine Partytröten. Luftschlangen lagen senil auf dem Boden herum. Es war mehrheitlich voll. Die roten Sitzpolster vor der Bühne waren bereits belegt. Von Menschen in ihren 30igern und 40igern. 50 ist alt. 40 ist Erwachsen. 30 das Jetzt. 20 die Vorstufe. 10 ist langweilig. 60 auch. Also lauter Erwachsene im Jetzt. Und wir. Wir gingen unruhig auf und ab. Wie ein Tiger im Käfig tänzelten wir von der Bar zur Bühne. Und wieder zurück. Weite, schnelle Schritte. Wir holten uns noch eine Milchbrause. Sie hatten eine oke Auswahl: drei Ginsorten, einen Whiskey, Bier im Glas, Coco-Mate und Leitungswasser. Wir setzen uns auf ein rotes Sofa. Und hörten Quiet Tiger vom Kit Downess Trio auf Minidisc. Hinter uns knutschten sich ein Päarchen spenglische Liebesschwüre ins Ohr. Wir hibbelten ungeduldig mit dem Fuß. 12 Tiger kamen in glitzernden Paillettenkleidern auf die Bühne. Unter tosendem Applaus folgte der barfüßige Schwellenbach in einem schwarzen Frack. Die langen, schwarzen Haare hatte er zu einem Turban gebunden. In der rechten Hand eine Diddlemaus, in der linken ein Foto von einem Dackel. Schwellenbach winkte dem Publikum staatsmänisch zu. Dann setzte er sich ans Klavier. Er hob die Diddlemaus. Sofort stellten sich die 12 Tiger auf die Hinterbeine. Schwellenbach hob jetzt auch das Dackelfoto. Wie ein Dirigent bewegte er seine Hände auf und ab. Die Tiger jauchzten

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Wir nickten. Auch Schwellenbach wippte mit der Diddlemaus und dem Dackelfoto im Takt. Dann hob er sachte seine Füße auf die Klaviatur. Und spielte mit seinen Zehen die Zweitstimme.

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Als Modifikation ein Augmented 5th und aus. Nach 6:37 Minuten.

55 Minuten und zwei Zugaben – das Gleiche in Variationen. Aber gut. Wir klatschten frenetisch. Ein paar weibliche Zuschauer schrieben wie von Sinnen ihre Pagernummern auf Zettel und warfen sie unter Johlen auf die Bühne. Zum Abschied warf er die verschwitzt Diddlemaus ins Publikum. Prompt entbrannte eine Schlägerei. Wir stiegen über das Frauenknäuel und pusteten zum Abschied zweimal in unsere Tröten. Wir mussten weiter ins Loophole. Dort spielten sie unsere Lieblingsfolge der Golden Girls als Puppentheater.